Wie die Bremer Amateure Sven und Marcel Paufler versuchen, mit der Weltelite im Kanu-Marathon mitzuhalten
Von Olaf Dorow - 5. September 2018 - WESER-KURIER
Bremen. Diese Portagen. Es hämmert der Puls, es schießt das Laktat, es wird einem fast schwarz vor Augen. Jetzt noch diese letzte Portage, und dann noch eine letzte Runde auf dem Wasser. Dann ist es geschafft, der Kanu-Marathon. Er ist nur 29,8 Kilometer lang, schön kurz eigentlich. Ein Marathon geht eigentlich ja über 42,195 Kilometer, und es heißt von ihm, dass er erst bei 35 Kilometer so richtig beginnt. Und von da an sehr eklig werden kann.
Früher waren Kanu-Marathons auch 42-Komma Kilometer lang. Aber irgendwann wurden die Portagen eingeführt. Zum Gaudi des Publikums: Wie beim Biathlon kommen alle paar Runden die Athleten zum großen Spektakel. Die Boote müssen von ihnen über Land getragen und zur nächsten Runde im See oder im Fluß wieder eingesetzt werden. Es geht zumeist rund 200 Meter über Land, auf manchen Anlagen können es auch aber mal 600 Meter sein. Und während der Puls beim schießenden Skiläufer sich etwas beruhigt, schießt er beim laufenden und Boot-tragenden Kanuten in die Höhe. Ein Kanu-Marathon über 42 Kilometer sei weniger anstrengend als einer über 30 mit den Portagen, sagt Marcel Paufler.
Gemeinsam mit seinem 20-jährigen Bruder Sven fliegt der 23-jährige Marcel Paufler an diesem Mittwoch von Bremen nach Porto. In Vila de Prado auf dem Cavado River, steht ihr Höhepunkt des Jahres an: Weltmeisterschaft im Kanu-Marathon für Zweierboote. Zuvor am Freitag wird Marcel Paufler auch noch im Einer-Rennen der U23 an den Start gehen. Zum dritten Mal in Folge haben sich die Pauflers für die WM qualifiziert. Vor zwei Jahren wurden sie Achte, vor einem Jahr Siebte und für dieses Jahr sagt Marcel Paufler: "Wir wollen uns in jedem Jahr steigern."
"Die ersten fünf der Welt, das sind Profis."
Sven Paufler
Dann müssten sie also Sechste werden, und dann wären sie praktisch die besten Amateure der Welt. "Die ersten fünf in der Welt", sagt Sven Paufler, "das sind Profis", und zählt die Nationen der Profis auf: Südafrika, Frankreich, Spanien, Portugal, Ungarn. Die Pauflers aus Bremen, die für den Verein Störtebeker Bremer Paddelsport starten, zahlen eher drauf, als dass sie etwas verdienen mit ihrem trainingsintensiven Sport. Ist die Weltmeisterschaft in Europa, gibt es einen Zuschuss vom Landesverband. Ist die WM außerhalb von Europa, gibt es den Zuschuss nicht. Dann hat die Saison rund 6000 Euro gekostet. Vom deutschen Kanu-Verband wird nichts finanziert, erzählen die Pauflers. Selbst ihre Nationalmannschaftstrikots müssten sie selbst bezahlen.
Um mit der Weltelite mitzuhalten, greifen die Bremer Brüder auf etwas zurück, was sich die Weltelite auch nicht so einfach kaufen könnte. Sie kennen sich, wie sich Brüder eben kennen können - und sie lieben das, was sie tun. Vielleicht nicht im engeren Sinne, aber in einem weiteren auf jeden Fall. Was sie tun, ist zunächst mal ein enormer Trainingsaufwand. Zweimal am Tag, Kilometer für Kilometer auf dem Unisee und oder auf dem Kuhgraben. Morgens Laufen, tagsüber arbeiten, Sven derzeit im Praktikum bei einem Steuerberater, Marcel auf einer Stelle im Bremer Aus- und Fortbildungszentrum. Abends ins Boot, dazu das Krafttraining. Das Pensum ist groß, es geht oft von morgens um fünf bis abends um elf. Im Winter wird es kalt. Und früh dunkel. Oft regnet es.
Doch dieses Gefühl, das alles zu bewältigen, auch - oder gerade dann - wenn es draußen dunkel, kalt und regnerisch ist, das gibt ihnen etwas. Der Gedanke, dass die Konkurrenz sich jetzt vielleicht gerade nicht so gequält hat. Und dann diese internationalen Wettkämpfe, die von deutlich mehr Technik und Taktik oder gar Zweikampfhärte geprägt sind, als sich der Kanu-Laie das zunächst vorstellen mag. "Das macht einfach mega Bock", sagt Marcel Paufler.
Wer ihm und seinem Bruder zuhört und zusieht, wie sie so über ihr Sport-Ding erzählen, so begeistert wie authentisch, der kommt um den Gedanken nicht herum: Ja, das ist voll ihr Ding. Man kann sogar neidisch werden. Nicht auf ihr Pensum. Aber auf die Erfülltheit, die sie vermitteln. Sie sind weder Freaks noch irgendwie missionarisch unterwegs. Sie strahlen viel. Uns sie strahlen halt etwas aus.
Dass sie als Brüder in das circa zwölf Kilogramm schwere Rennboot steigen, ist, wenn man so will, die zweite Säule des erfolgreichen Paufler-Projekts. Sie haben ähnliche körperliche Voraussetzungen. Sie könnten, falls erforderlich, sogar die Positionen im Boot tauschen. Im Normalfall sitzt Sven vorne und steuert. Marcel sitzt hinten - und pumpt. Mit den Füßen bedient er eine kleine Pumpe, über einen Schlauch wird das Wasser herausbefördert, das während des Rennens ins Boot kommt. Es kommt dabei auch schon mal vom Paddel des Gegners, und zwar mit Absicht. Auch so etwas gehört dazu, ein Kanu-Rennen ist eher nichts für Mimosen.
Paufler und Paufler schaffen es, eine Homogenität zu erreichen. Ihr Boot gleitet so, dass sie Kraft sparen können. Ein sehr wichtiges Kriterium auf einer solch kräftezehrenden Distanz. Mehr als zwei Stunden lang liegt das Renntempo bei durchschnittlich knapp 15 km/h. Ein zweites wichtiges Kriterium ist gewissermaßen eine mentale Homogenität. "Die anderen treffen sich zum Training. Wir wissen genau, wie der andere tickt, wie man vielleicht doch noch mal zwei Prozent mehr herausholt", sagt Marcel Paufler.
Das wäre dann so etwas wie Kanu-Marathon-Variante der Blut-ist-dicker-als-Wasser-These. Zum Bruder mit Bruder im Rennboot gesellt sich bei den Pauflers noch der Vater als Trainer, ein Ex-Kanute. Auch die Mutter ist aktiv im Verein. Und, man ahnt es, Ex-Kanutin. Der Onkel: Ex-Kanute, der seinen Sohn trainiert. Wurde schon gesagt, dass der Kanu-Sport voll das Ding der Pauflers ist?