Bei den Weltmeisterschaften 2019 in China war unser weißer Zweier zuletzt bei einer internationalen Meisterschaft im Einsatz. Es folgten Jahre, die von der Corona-Pandemie, Krankheit und Verletzungen geprägt waren, aber auch von sportlichen Erfolgen im Kajak-Einer. Nun, fast vier Jahre später, war es endlich wieder soweit: Auf der Save im kroatischen Slavonski Brod fanden die diesjährigen Europameisterschaften statt und wir hatten uns als bestes deutsches Boot qualifiziert und waren einsatzbereit. Die gemeinsame Vorbereitungszeit betrug durch Marcels Verletzung aus dem Winter zwar nur gut zwei Monate, aber die waren dafür umso intensiver.
Bereits bei der Ankunft und durch die Wettervorhersage wurde schnell deutlich: Die größte Herausforderung für alle Sportler sollte die extreme Hitze werden, die derzeit in Kroatien herrscht und in dieser Form auch für die Menschen dort ungewöhnlich ist. Temperaturen unter 25 Grad hatte man eigentlich nur zur Frühstückszeit und am späten Abend.
Nach der Anreise über München, wo wir auf der Olympiaregattastrecke in Oberschleißheim noch eine Trainingseinheit absolvieren konnten, ging es beim Training auf der Save (Grenzfluss zu Bosnien) zunächst um die Streckenführung. Eine Besonderheit war die starke Strömung, durch welche die Wenden zu entscheidenden Punkten für taktische Manöver wurden. Nach einer würdigen Eröffnungsfeier mit den 26 teilnehmenden Nationen, hitzebedingt in ein Hallenstadion verlegt, begannen die Wettkämpfe am Donnerstag mit den Short-Races.
Da wir uns auf den deutschen Meisterschaften für alle Wettbewerbe (Marcel im Short-Race und über die klassische Distanz und Sven und Marcel im Zweier) deutlich qualifiziert hatten, war die Entscheidung, auch in allen Rennen an den Start zu gehen, schnell gefallen. Grund dafür war schlicht, dass wir in dieser Saison so viel Wettkampfpraxis auf höchstem Level wie möglich sammeln wollten, um festzustellen wo wir stehen, eine breite Analysegrundlage für den nächsten Winter aufzubauen und natürlich möglichst schnell wieder ins Wettkampfgeschehen zu kommen.
Im Vorlauf des Short-Races (3,4 Kilometer, zwei Portagen) qualifizierte sich Marcel dann auch tatsächlich als Neunter über die Fahrzeit für das Finale am Nachmittag. Während der Vorlauf noch sehr holprig verlief (durchwachsener Start und geringe Verbesserung der Platzierung im Rennverlauf), lief das Finale etwas besser: Marcel arbeitete sich insbesondere in der zweiten Rennhälfte bis auf den 15. Platz vor und kam im Endspurt nur knapp hinter Jost Zakrajsek (SLO) und Baudouin Geniesse (FRA) ins Ziel. Neuer Europameister wurde der Norweger Eivind Vold.
Nach einem wettkampffreien Tag ging es am Samstag auf die klassische Distanz im Einer. Für die 29,8 Kilometer (mit sieben Portagen) hieß es von Beginn an: Kräfte gut einteilen, denn Rennen können bei Temperaturen jenseits der 35 Grad sehr lang werden. Das gelang zunächst auch gut und Marcel arbeitete sich nach dem Start an die große Führungsgruppe heran, die sich aber vor der zweiten Wende in wenige kleinere Verfolgergruppen teilte. Während die große Spitzengruppe in der ersten Rennhälfte immer wenige hundert Meter vor Marcels Verfolgergruppe blieb und sogar einige der Titelfavoriten zurückfielen und aufgaben, kämpfte er sich mit dem Spanier Adrian Prada und zunächst auch Mitfavorit Jose Ramalho (POR) an die vor ihnen liegenden Verfolger Baudouin Geniesse und Jost Zakrajsek heran. Nach einer Runde zu viert konnte Marcel in der Portage, bedingt durch einsetzende Krämpfe im linken Bein beim Aus- und Einsteigen, den Anschluss allerdings nicht mehr halten und kam auf dem ungefährdeten zehnten Platz nach 2:16:49.62 Stunden ins Ziel. Sieger des Rennens wurde Titelverteidiger Mads Pedersen aus Dänemark.
Natürlich wirkte sich die Hitze auch auf die Regeneration nach dem Wettkampf nicht unbedingt begünstigend aus und die Zeit wurde durch die hitzebedingte Rennverschiebung des Einer-Rennen vom späten Mittag auf den späten Nachmittag zudem verkürzt. Dennoch gelang es uns durch gute Organisation und Planung der Stunden bis zum Rennen, am Sonntag rechtzeitig fit zum EM-Höhepunkt am Start zu stehen.
Aber es sollte ein unglaublich hartes Rennen im Zweier über die klassische Distanz werden. Die Temperatur stieg im Laufe des Mittags auf bis zu 46 Grad an. Das veranlasste die internationalen Wettkampfrichter auch zu einer seltenen, aber unter solchen Bedingungen zulässigen Maßnahme: Das Rennen wurde um zwei Runden auf nun 22,6 Kilometer (mit fünf Portagen) verkürzt. Der Start verlief gut und zunächst war der Anschluss zum überraschend kleinen, aber mit fast nur Medaillenkandidaten hochklassig besetzten EM-Feld da. In den ersten Runden setzte sich die Spitzengruppe mit sieben Booten ab. Sven und Marcel fuhren gemeinsam dahinter mit dem französischen Boot um Lois Mille und Mael Poirier. Gemeinsam gelang es ihnen, die aus der Führungsgruppe herausgefallenen Spanier Jose Julian und Adrian Martin wieder einzuholen. Auf die Strecke gesehen war das Tempo der mitfavorisierten Spanier allerdings zu hoch. Zwar schrumpfte der Rückstand auf die Führenden auf diesen Kilometern nochmal auf nur noch zweihundert Meter, Sven und Marcel mussten dann allerdings von den Spaniern abreißen lassen. Kurz darauf erwischte es das französische Boot ebenfalls. Auf dem zehnten Platz ging es dann auch über die Ziellinie. Europameister wurden die Franzosen Quentin Urban und Jeremy Candy.
Noch am Sonntag wurde die Rückreise aus dem heißen, aber schönen Kroatien angetreten. Natürlich ist es unser Ziel, im Zweier wieder ein paar Plätze weiter vorne in der Ergebnisliste zu stehen. Nach der enormen Leistungsdichte bei der WM im vergangenen Jahr und unter Berücksichtigung unserer eigenen Werdegänge in den letzten Monaten und Jahren waren wir aber ohne größere Erwartungen an die EM gegangen und sind rückblickend wirklich zufrieden. Wir wissen nun wo wir aktuell stehen und haben noch ein paar Wochen für den Feinschliff bis zur WM in Dänemark.
Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Wir sind wieder mit dabei und unser Weg geht weiter!
Alle Ergebnislisten sind hier oder über die Webseite der EM abrufbar.